Badisches Landesmuseum

Kaiser und Sultanto go

Badisches Landesmuseum

Nachbarn in Europas Mitte 1600–1700

Der im Herzen von Europa gelegene Balkanraum sowie das dreigeteilte Ungarn waren im 17. Jahrhundert Schauplatz von zahlreichen Glaubenskonflikten und Kriegen unterschiedlichster Reiche. Im allgemeinen Gedächtnis verankert sind heute jedoch vor allem die Konflikte zwischen den Osmanen und den Habsburgern in Ostmittel- und Südosteuropa: die sogenannten „Türkenkriege“. Oft gerät dabei aus dem Blick, dass nicht nur kriegerische Zeiten die Nachbarschaft der beiden Großmächte prägten. Denn in friedlichen Zeiten war Rumelien – das europäische Territorium des Osmanischen Reiches – und damit der Balkan in seiner Wortbedeutung die wichtigste Schnittstelle zwischen Europa und Asien.

Anhand von sechs Themenkomplexen werden der wechselseitige Austausch und die kulturellen Verflechtungen im Europa des 17. Jahrhunderts sichtbar. Doch bevor wir in die Materie der Ausstellung eintauchen, lässt Christian Tramitz die Eckpfeiler dieses bewegten Jahrhunderts Revue passieren.


Videoguide

Begeben Sie sich mit der Kuratorin Dr. Schoole Mostafawy auf eine Virtuelle Tour durch die Ausstellung, die in Karlsruhe aus Anlass des 100. Jubiläums des Badischen Landesmuseums im Oktober 2019 eröffnet wurde. Infolge der Pandemie 2020 musste die Ausstellung mit ihrer Fülle an nationalen und internationalen Exponaten aus berühmten Sammlungen vorzeitig schließen. Für den während der Schließungszeit gedrehten und produzierten Film zeichnen sich Benjamin Breitkopf und David Loscher verantwortlich. Verlinkungen mit dem für diese Ausstellung von mehr als 50 renommierten Wissenschaftler*innen erarbeiteten, z. T. neuen Forschungsmaterial übernahm Alexander Kim. Die englischen Untertitel erfolgten auf der Grundlage der Übersetzungen von Joanne Eysell, Magda Kästel und Dr. Geraldine Schuckelt.


Christian Tramitz erklärt das 17. Jahrhundert

Ein Animationsfilm der Filmakademie Ludwigsburg von Felix Fahle und Merlin Deppeler



Kampfgeist und Glaubenseifer

Die Janitscharen stellten im Osmanischen Reich die Elitetruppe der Armee. Sie bildeten den Kern der osmanischen Streitkräfte und rekrutierten sich noch im 16. Jahrhundert aus christlichen Kindern vom Balkan oder aus Anatolien, die durch die sogenannte Knabenlese ins osmanische Heer gelangten. Dort erlernten sie nicht nur die Sprache und Kultur der Osmanen, sondern wurden zum Islam bekehrt. Von den Angehörigen des Bektaşi-Ordens, die einen mystisch ausgerichteten Islam lebten, wurden sie „gesegnet“, unterrichtet und militärisch ausgebildet. Muslime selbst waren zunächst von der Knabenlese ausgeschlossen, um zu verhindern, dass sich eine muslimische Militärelite als Gegengewicht zum Sultan bilden konnte – vergleichbar mit den Korps der päpstlichen Schweizergarde oder der kurfürstlich-sächsischen Kroatenleibgarde.

Die Janitscharen zeichneten sich durch eine besondere Loyalität gegenüber der osmanischen Dynastie aus. Sie genossen Privilegien und ihnen standen vielerlei Karrieremöglichkeiten im osmanischen Staatswesen offen, weshalb auch muslimische Eltern versuchten, ihre Kinder unbemerkt in die Truppe einzuschleusen.


„Das Paradies liegt im Schatten der Schwerter.“

(Hadith von Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, 9. Jh.)


Angst und Faszination

„Der Osmane“ wurde bereits im 16. Jahrhundert durch die kaiserliche Propaganda zum Feind stilisiert. Durch überzeichnete äußerliche Merkmale in bildlichen Darstellungen wurde ein bestimmtes Türkenbild geschaffen: Hakennase und ein ungepflegter Schnurrbart waren einige der Attribute, die den Feind kennzeichnen und verunglimpfen sollten.

Zugleich wuchs aber auch das Interesse an dem Fremden. Die Faszination an der Kultur und den Sitten der Osmanen erlebte ihren ersten Höhepunkt in der sogenannten Turquerie. Diese „Türkenmode“ erfreute sich großer Beliebtheit. Es entstanden zahlreiche Handschriften, Kupferstiche und Illustrationen in Folge von Gesandtschaftsreisen ins Osmanische Reich, die die gesammelten Eindrücke wiedergaben. Dabei wurden die unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen Istanbuls, die Bräuche und ihre spezifische Volkskleidung dargestellt. Hierzu haben sich vor allem Belege aus dem 17. Jahrhundert in der Turquerien-Sammlung von Schloss Ptuj in Slowenien erhalten, welche auf Kupferstiche des Georges de la Chappelle zurückzuführen sind.


Begegnung und Austausch

Dass Kulturen nebeneinander existieren, ohne sich zu berühren, sich anzunähern, sich zu beeinflussen oder gar sich gegenseitig zu durchdringen, ist unvorstellbar. Kulturelle Verflechtung, die von der modernen Geschichtswissenschaft als „Entangled History“ (Verflechtungsgeschichte) bezeichnet wird, geht genau von diesem Phänomen des ständigen Austauschs der Kulturen aus. Durch die Begegnung der Kulturen und durch das Vermischen von Eigenem und Fremdem entsteht Neues, Innovatives.

Die prunkvolle Pfeil- und Köchergarnitur aus dem 17. Jahrhundert in der Bildergalerie stellt ein hervorragendes Beispiel für ein „transkulturelles Objekt“ dar: Sie ist flächendeckend mit Arabesken und floralen Elementen wie Tulpen und Nelken besetzt. Auf den ersten Blick mutet sie durch diese Ausschmückung typisch osmanisch an. Schaut man sich das Objekt jedoch genauer an, fallen die naturalistisch gestaltete Rose im Kreisband in der Mitte und die lateinische Inschrift ins Auge. Diese nennt als Besitzer der Garnitur den Truchsess des siebenbürgischen Fürsten, Bethlen Gabor. Es handelt sich also um ein siebenbürgisches Erzeugnis.

Transit- und Grenzräume im Herzen Europas

Die Balkanhalbinsel und das dreigeteilte Ungarn, bestehend aus dem königlichen Ungarn der Habsburger im Nordwesten, dem autonomen Vasallenstaat Siebenbürgen im Osten und dem osmanischen Zentralungarn in der Mitte, fanden sich als Transit- und Grenzräume wieder. Durch das Nebeneinander heterogener Bevölkerungsgruppen und Religionsgemeinschaften bot das Gebiet einen vielfältigen Nährboden für kulturelle Verflechtung. Die Begegnung von Goldschmieden unterschiedlichster Ethnien im osmanischen Vasallenstaat Siebenbürgen führte beispielsweise in der hochentwickelten Goldschmiedekunst zu einem faszinierenden Mischstil.

Die Geschichten von Begegnung und Austausch finden ihr wohl schillerndstes Beispiel in der Person des Schweizers Rudolf Schmid von Schwarzenhorn, der aus osmanischer Kriegsgefangenschaft erst zum Dolmetscher und schließlich zum Großbotschafter der Habsburger aufstieg und dabei zwischen drei Kaisern und drei Sultanen vermittelte. Seine Lebensgeschichte hält ein kostbarer Deckelpokal in Wort und Bild fest, den er seiner Heimatstadt Stein am Rhein gestiftet hat und noch heute im Gebrauch ist: in der Becherzeremonie hat jeder Neubürger der Stadt das Privileg aus diesem zu trinken.


Automatenuhren

Meist in Augsburg hergestellte, mechanisch wie ästhetisch meisterhafte Automatenuhren erfreuten sich an den Höfen Europas und des Osmanischen Reiches großer Beliebtheit. Die Uhren galten neben Waffen als Prestigeobjekte und gelangten sowohl als Beute als auch als Gesandtschaftsgeschenke an die Höfe.

Automatenuhr mit Elefanten / Erasmus Biernbrunner / Augsburg / um 1580

Das ursprüngliche, später übermalte Uhrenblatt wies arabische Ziffern auf. Zu jeder vollen Stunde drehen sich die Krieger im Turm. © Sammlung Privatstiftung Esterházy Eisenstadt, Burg Forchenstein – Schatzkammer / Manfred Horvath

Automatenuhr mit Ross und Reiter / Augsburg / um 1580

Zepter und Kopf dieses osmanischen Würdenträgers bewegten sich zu jeder Stunde, die Augen des Pferdes rollten.⠀ © Historisches Museum Basel / M. Babey

Silberne Telleruhr / Uhrmacher Jeremias Pfaff, wohl d.J.; Goldschmied Jakob II Plank / Augsburg vor 1680

Kostbare Uhren wie diese dienten der fürstlichen Repräsentation – so auch am Hof der Esterházy. Die sichtbaren römischen Ziffern wurden über zum Teil noch lesbare arabische Kardinalzahlen gemalt. © Sammlung Privatstiftung Esterházy Eisenstadt, Burg Forchenstein – Schatzkammer / Manfred Horvath

Edelsteinbesetzte Tischprunkuhr / Signiert „David Buschmann“ / Augsburg / zwischen 1676 und 1683

Das mit arabischen Kardinalzahlen ausgestattete Ziffernblatt verweist auf eine wohl für den osmanischen Raum hergestellte Tischuhr. © Sammlung Privatstiftung Esterházy Eisenstadt, Burg Forchenstein – Schatzkammer / Manfred Horvath

Vergoldete Automatenuhr / Meistermarke „AS“ (Andreas Stahel) / Augsburg / um 1600
Das Automatenwerk setzt die Figuren in Bewegung: Die Ziegen wippen und drehen ihre Hälse, ein Hund setzt zum Spruch an, der Wagen fährt und der mit den Augen rollende Amor schießt auf den Papagei.
© Badisches Landesmuseum


Aneignung und Verwandlung

Eine ganz besondere Metamorphose durchlief der osmanische Streitkolben, der einen Bedeutungswandel, einen Begriffswandel und einen Funktionswandel erfuhr. Der Streitkolben entwickelte sich von einer militärischen Waffe zu einem Hoheits- und Standeszeichen, das zuerst in Ostmittel- und Südosteuropa Verbreitung fand.

Im dreigeteilten Ungarn trugen die Feldherren die sogenannten Buzogane oder Pusikane als Statussymbol. Dieser Tradition folgte die Adelsrepublik Polen-Litauen mit der buława. Sie diente dem Oberbefehlshaber des Heeres als Kommandostab.

Ein Zepter für das Großherzogtum Baden

Anlässlich der Feierlichkeiten zum Begräbnis des Großherzogs Carl Friedrich im Jahr 1811 benötigte das neu gekürte Großherzogtum Baden Kroninsignien. Was geschah? Dem Streitkolben, der um 1625 vom Goldschmied Bartholomäus Igell in Kronstadt gefertigt worden war, wurde aus der Schatzkammer ausgewählt und der Kopf des Streitkolbens durch eine Krone ersetzt, wodurch er seine Umgestaltung zum Zepter und zur Kroninsignie erfuhr.

Ein weiteres Beispiel für die Aneignung und Verwandlung stellt das Phänomen der Teppiche in Siebenbürgen dar. Im pluriethnischen Siebenbürgen schmückten Protestanten zum Zeichen ihres Standes und ihrer konfessionellen Identität ihre Kirchen mit muslimischen Gebetsteppichen. Die bekanntesten Beispiele hierfür sind die Schwarze Kirche in Braşov (Kronstadt) oder die Kirche von Mediasch, die beide an wichtigen Handelswegen lagen.


Anmut und Pracht

Einen bedeutenden Stellenwert im orientalischen Alltagsleben nehmen Textilien ein. Abgesehen davon, dass die Osmanen in Anlehnung an die Nomadenkultur ihrer turkstämmigen Vorfahren kaum Möbel besaßen, ihre Zelte jedoch mit mannigfachen Textilien wie Kissen, Decken, Polster, Einschlagtüchern und Gebetsteppichen ausstatteten, wurden auch Briefe in kostbaren Stoffbeuteln verschickt und zur Ehrung eines Gastes Gewänder aus Seide mit Stickereien überreicht.

Die orientalische Textilkunst faszinierte Europäer schon immer. Vor allem die auf das Gewebe übertragene Flächenkunst, in der das Verhältnis zwischen Grund und Muster aufgebrochen und der Anschein einer Raumtiefe gemieden wird, sodass es zwischen den einzelnen Musterelementen zur Illusion eines Schwebezustandes kommt.

Für weitere Faszination sorgt die Kunst des Schreibens – die Kalligraphie. Den höchsten Stellenwert nimmt im Islam das Wort Gottes ein. Daher gilt das geschriebene Wort und damit die Kalligraphie als höchste künstlerische Ausdrucksform, mit der sich die Meisterschaft des Kalligraphen unter Beweis stellen lässt. Arabische Schrift ziert in unterschiedlichem Duktus Architekturen, Manuskripte, Alltagsgegenstände und Kriegsgerät wie Waffen. Doch nicht nur die Ausrüstung des Kriegers wie der Bogen, Dolch, Säbel oder Yatagan wurde kalligraphisch verziert, sondern auch die von ihm getragenen sichtbaren oder unsichtbaren Teile der Rüstung. So wurde etwa unter dem Panzerhemd ein Baumwollhemd getragen, das mit zahlreichen Suren, Glücks- und Segenssprüchen geschmückt war.


„Ob jemand lesen kann oder nicht, wenn er eine schöne Schrift sieht, wird er sich an ihrem Anblick erfreuen.“

(Qadi Ahmad, 16. Jh.)


Das Blaue Zelt

Das mit Abstand größte und prächtigste Exponat ist das sogenannte „Blaue Zelt“ aus Krakau. Es wurde vermutlich von Johann III. Sobieski 1683 nach der osmanischen Belagerung von Wien erbeutet. 

Das Zelt übertrifft in seiner monumentalen Wirkung, seiner Ornamentik und der verwendeten Materialien sowie der angewandten Technik selbst vergleichbare Zelte aus dem Topkapi-Palast und dem Askeri-Museum in Istanbul. Es weckt Erinnerungen an einen Paradiesgarten. Die auf Säulen ruhenden Bögen imitieren eine Innenarchitektur. Sie sind mit vielfarbigen Auflagen aus Leder, Seide und Samt verziert. Gold- und Silberstickereien ergänzen den Dekor. Kalligraphien wünschen dem Besitzer Glück und Segen.

Krakau, Königsschloss auf dem Wawel, Staatliche Kunstsammlungen, Foto: Uli Deck

Kuratorin Dr. Schoole Mostafawy über das "Blaue Zelt"


Brückenbauer und Protagonisten

Verflechtungen benötigen Menschen. Menschen, die Verbindungen herstellen und Austauschprozesse in Gang setzen. Aus diesem Grund wird die Ausstellung von Protagonisten und Brückenbauern verschiedenster Herkunft begleitet. Bei den sogenannten Brückenbauern handelt es sich um Diplomaten, Dolmetscher, Händler, Reisende, Künstler oder auch Gefangene.

Europäische Gesandte und Gefangene erlernten an der Hohen Pforte die osmanische Sprache und wurden als Dolmetscher zu wichtigen Vermittlern in Kriegs- und Friedenszeiten. Bedeutende Machthaber wechselten von der einen auf die andere Seite, betrieben Spionage und nahmen an Verschwörungen teil. Politische und religiöse Gegenspieler auf beiden Seiten suchten im gegnerischen Lager nach Verbündeten, sandten Diplomaten aus und gingen dabei als ruhmreiche Sieger, als unehrenhafte Verlierer oder sogar als tragische Gestalten hervor.

Hier sehen Sie einige dieser Persönlichkeiten, die als Brückenbauer zum kulturellen Austausch beitrugen und auch Protagonisten, die historische Ereignisse beeinflussten und somit mitentschieden.


„Glücklicher und sehr großer Sieg, dem Seine Durchl. Herr Marckgraf Ludewig von Baden wider die Türcksche Armee zwischen Peter Waradin und Salankement erhalten, am 19. Aug. 1691. N. St.“

Inschrift auf einem Kupferstich zur Schlacht


#kaiserundsultan

Ausstellungsimpressionen: © Badisches Landesmuseum, Foto: Uli Deck